Interview eines fiktiven Lokalreporters mit Pastor Johann Christian Schorler (1705-1788)
Reporter: Herr Pastor, auf ein Wort!
Schorler: Aber selbstverständlich, junger Mann, was möchten Sie noch wissen?
Reporter: Ihre Zuhörer fragen sich als erstes, warum es Sie so erstaunt hat, dass „sage und schreibe 560 Pott Branntwein“ an die Franzosen geliefert werden mussten. Hört sich bei der Menge an Soldaten in der Stadt doch nicht so ungewöhnlich an.
Schorler: Wieviel ist denn Ihrer Meinung nach so ein Pott Branntwein?
Reporter: Hmm, ich denke, so wie heute ein Kaffee-Pott, ein Viertelliter.
Schorler: Ha, da sind Sie aber im Irrtum, junger Mann. Der Mecklenburger Pott war ein offizielles Volumenmaß und beinhaltete 0,925 Liter. Die Ribnitzer hatten also über 500 Liter Branntwein zu liefern. Was schon eine außergewöhnlich große Menge war. Vergessen Sie nicht, dass hier 1807 noch die Brenngerechtigkeit bei den Städten lag und strenge Schankkonzessionen bestanden. Es durfte also nicht einfach jeder Branntwein brennen und ausschenken. Das war dem städtischen Krug [heute Ecke Bahnhofstraße/ Damgartener Chaussee] vor den Toren der Stadt vorbehalten. Für solch eine Forderung wird der Krüger wohl seinen ganzen Vorrat hat hergeben müssen. Wenn es überhaupt gereicht hat.
Reporter: Oh, das wirft ein ganz anderes Bild auf Ihre Aussage.
Schorler: Ja, ja, die Menschen der Zukunft haben oft ein ganz falsches Bild von unserem Leben.
Reporter: Das mag sein! Dann klären Sie uns doch auf!
Schorler: Ich fürchte, Ihre Leser sind meiner bald überdrüssig. Der Herr mit Perücke und Halskrause hat schon so viel erzählt. Aber vielleicht eins noch: Ein wenig neidisch schaut unsereiner schon auf die breiten sauberen Straßen der Zukunft.
Reporter: Naja, sauber ist es beileibe nicht überall.
Schorler: Aber kein Vergleich mit dem, was ich so täglich erleben musste. Im Sommer 1755 hatte ich einen Streit mit dem Ribnitzer Rat. Man wollte mir nicht gestatten, auf eigene Kosten vor dem Pfarrhaus eine Galerie anzubauen. Auf Pfarrland. Sollte ich mir weiterhin von unachtsamen Arbeitsleuten mit ihren Karren gegen die Hausfront fahren lassen?
Reporter: Wo lag das Problem?
Schorler: Der Rat schrieb, der Bürgersteig würde dadurch angeblich zu eng und unansehnlich! Lächerlich, eine solide gebaute Galerie hätte die Straße sogar verschönert. Unansehnlich, das sind die einfachen Bretterverschläge vor den Häusern überall. Die reichen oft bis hin zum Rinnstein, so dass kein Durchkommen ist. Neben dem Auge wird auch die Nase beleidigt. Der eine sammelt in seinem Verschlag nur Kehricht und Müll, andere haben aber auch ihren Misthaufen darin untergebracht. Es stinkt zum Himmel!
Reporter: In der Tat, das ist sehr unangenehm und heute undenkbar.
Schorler: Sie Glücklicher! Wenn ich mich weiter umsehe: vor den Werkstätten der Radmacher, Tischler und Drechsler stapeln sich Vorräte an Brettern, Balken und Kleinholz. Manches mal ohne rechte Ordnung. Jahrein – jahraus! Aber Gott übt Gerechtigkeit. Vier Jahre später ist eh alles abgebrannt.
Reporter: Herr Pastor! Das aus Ihrem Munde!
Schorler: Sie haben ja recht, über den furchtbaren Stadtbrand von 1759 sollte man nicht lästern. Aber ich rege mich schrecklich auf, weil so manches im Argen lag in unserer Stadt. Meinen Amtsbruder Johann Pasch sollten Sie mal befragen, der könnte Ihnen von Zuständen erzählen, als er 1688 seine Pfarrstelle antrat.
Reporter: Danke, Herr Pastor, für den Hinweis. Das werde ich tun. Ihnen aber vielen Dank für diese interessante Ergänzung.