Interview eines fiktiven Lokalreporters mit Fischerfrau Margarethe Schwiesow (um 1600)

 

Reporter: Frau Schwiesow, sie sind gemeinsam mit König Gustav Adolph die einzige hier, die keines natürlichen Todes starb.

Schwiesowsche: Da sollte ich mich wohl geehrt fühlen in so hoher Gesellschaft. Aber mit den hohen Herren habe ich nichts im Sinn, nach dem, was mir widerfahren ist.

Reporter: Oh! Möchten Sie darüber sprechen?

Schwiesowsche: Sollen ruhig alle wissen, was man uns angetan hat. Alle haben mitgemacht oder zumindest zugesehen. War ein großes Spektakel, so eine Hexenverbrennung.

Reporter: Mit Zuschauern?

Schwiesowsche: Selbstverständlich, sollte ja abschrecken: so ergeht es euch, wenn ihr mit dem Teufel im Bunde steht!

Reporter: Solch ein Blödsinn!

Schwiesowsche: Sagen Sie. Sage ich auch! Aber im Gegensatz zu Ihnen war ich damit in meiner Zeit so ziemlich alleine. Hinter allem Schlechten, was die Leute sich nicht erklären konnten, musste der Teufel stecken.

Reporter: Na, der steckt ja bekanntlich im Detail!

Schwiesowsche: Machen Sie sich nur lustig! Ich habe gehört, selbst 400 Jahre später lassen sich die Leute noch eine Menge Unfug einreden.

Reporter: Wohl wahr! Verzeihen Sie! Aber man kann sich in der heutigen Zeit zumindest in unseren Breiten nur schwer vorstellen, dass jemand in den Verdacht der Hexerei gerät.

Schwiesowsche: Denken Sie sich folgende Situation: Der Ehemann geht fremd, da ist für die betrogene Ehefrau völlig klar, dass die junge hübsche Nebenbuhlerin eine Hexe ist. Fiel Hagel auf das reife Korn, steckte garantiert auch sie dahinter. Dabei musste man sich nur ein wenig mit Wind und Wetter auskennen wie mein Mann, der Fischeraltermann Hans Schwiesow, um solche Ereignisse zu verstehen. Mit Krankheiten war es nicht anders. Entweder waren sie Strafe Gottes oder Werk des Teufels. Meine Nachbarin Ilse Cordes, eine erfahrene Hebamme, lebte immer in Gefahr, als Hexe bezichtigt zu werden. Gelang es ihr nicht, das Kind gesund auf die Welt zu bringen, hatte sie die Gebärende verhext. Gelang es ihr, wider allen Erwartungen Mutter und Kind zu retten, musste das erst recht Teufelswerk sein.

Reporter: Wie furchtbar!

Schwiesowsche: Man wusste es halt nicht besser. Aber mitunter bedurfte es nur eines neidischen Nachbarn. Stellen Sie sich vor, der hätte es auf Ihr Haus abgesehen. Sitzen Sie erst wegen Hexerei im Kerker, wird Ihr Hab und Gut billig verhökert. Und ein paar Vaterunser machen alles wieder frei von teuflischen Einflüssen.

Reporter: Unglaublich! Möchten Sie uns erzählen, was Ihnen passiert ist!

Schwiesowsche: Eine gute Freundin von mir war verhaftet worden, weil sie angeblich ihrem Nachbarn etwas angehext hatte. Hexenschuss nennt man das erschreckenderweise noch immer. Dabei wusste jeder in der Stadt, dass es zwischen beiden schon lange Streit um ein Ackerstück gegeben hatte. Natürlich habe ich sofort bei Gericht für sie gebürgt und auch die Geschichte mit dem Acker erzählt.

Reporter: Ist Ihre Freundin freigekommen?

Schwiesowsche: Natürlich nicht. Ich hätte es mir denken können. Stattdessen lief nun ein Verfahren auch gegen mich. Aber mein Mann war im Rathaus gut bekannt, war ein gewählter Sechzehner [Abgeordneter] des Gänseviertels. So wurde ihm meine bevorstehende Verhaftung verraten. Noch in derselben Nacht half er mir mit dem Boot über die Recknitz nach Pommern. Dorthin reichte der Arm des mecklenburgischen Gesetzes nicht. Ich begab mich zu Verwandten nach Barth.

Reporter: Wollten sie dort abwarten, bis die Anklage gegen Sie fallengelassen würde?

Schwiesowsche: Wir hatten gar keinen Plan. Aber dass man die Anklage einfach so vergessen würde, das war unmöglich. Also schrieb ich einen Brief an unseren Herzog. Darin bat ich um freies Geleit nach Güstrow und einen ehrlichen Prozess. Ich hatte mir ja nichts vorzuwerfen.

Reporter: Wurde Ihnen beides gewährt?

Schwiesowsche: Mitnichten. Auf meinem Weg nach Güstrow, wo der Herzog damals residierte,  wurde ich in Völkshagen verhaftet und nach Rostock ins Kloster Zum Heiligen Kreuz gebracht. Aber der Ribnitzer Rat wollte nicht auf sich sitzen lassen, dass ich ihm entflohen war. So wurde ich schon bald nach Ribnitz überführt. Im Diebskeller des Rathauses musste ich sitzen, sieben Wochen lang immer wieder der Tortur [Folter] ausgesetzt.

Reporter: Man wollte ein Geständnis von Ihnen, da ohne ein solches keine Verurteilung möglich war.

Schwiesowsche: Genauso war es. Und glauben Sie mir, der Büttel hat sich alle Mühe gegeben. Aber ich blieb standhaft. Kein Geständnis und kein Name kamen über meine Lippen. Niemals wollte ich eine Unschuldige dem gleichen Schrecken aussetzen!

Reporter: Alle Achtung, dass Sie widerstanden haben!

Schwiesowsche: Nach den sieben Wochen mussten sie mich freilassen, aber unter strengster Beobachtung, wie man mir drohte.

Reporter: Ihre Familie war sicher überglücklich Sie wieder zu haben!

Schwiesowsche: Die Freude hatte einen bitteren Beigeschmack. Nach 30 Jahren rechtschaffener Arbeit für unseren Lebensunterhalt wollte man uns zu Ausgestoßenen machen. Mein Mann hielt weiter zu mir. Er hatte mir auch immer Essen ins Gefängnis geschickt, nur deshalb konnte ich der Tortur wohl standhalten. Nach meiner Entlassung tat er auch etwas sehr Mutiges: er schrieb einen Brief an die herzogliche Kammer, in dem er die Folterpraktiken des Ribnitzer Rates anprangerte.

Reporter: Und?

Schwiesowsche: Nichts „und“. Es fand eine Untersuchung statt, in deren Verlauf die Ribnitzer Handhabe als rechtens anerkannt wurde. So nahm unser Zittern wegen einer neuen Verhaftung kein Ende. Und zurecht. Sechs Jahre nach meiner ersten Verhaftung 1604 geriet mein Dienstmädchen unter Verdacht. Das hatte mit ihrer Schwester zu tun, die unter der Folter „gestanden“ hatte, mit ihr und ein paar anderen Frauen – darunter ich- auf den Blocksberg geflogen zu sein und dort mit dem Teufel gebuhlt zu haben.

Reporter: Man hat Sie wieder verhaftet?

Schwiesowsche: Ich sollte mich zur Anhörung einfinden. Aber stattdessen brachte mich mein Mann wieder über die Grenze und ich wanderte bis Stralsund. Aber leider reichten die Arme des Ribnitzer Rates bis nach Pommern. In Stralsund saß ich ein Jahr im Kerker. Danach wurde es aber nicht besser. Nach Ribnitz durfte ich nicht mehr. Mein Mann kämpfte um meine Entlastung, letztlich mit wenig Erfolg. Ich durfte zwar wieder nach Hause, aber nur, um auf den Scheiterhaufen zu warten. 1616 wurde ich auf der Hohen Warthe verbrannt.

Reporter: Wie schrecklich!

Schwiesowsche: Wissen Sie, was am schlimmsten war: bevor mich der Rauch in eine gnädige Ohnmacht schickte, sah ich in die Gesichter der Gaffer. Ehemals freundliche Nachbarn, die nun jubelnd die angebliche Hexe in den Tod schickten.

Reporter: Da bleibt mir nichts hinzuzufügen. Vielen herzlichen Dank Frau Schwiesow! -

Ach, da fällt mir doch noch etwas ein: warum nennt man Sie eigentlich die Schwiesowsche? Das klingt mir so ... herabwertend!?

Schwiesowsche: Nicht doch, höchstens etwas zu besitzergreifend für Ihre Ohren. Aber das war zu meiner Zeit so. Mein Mann ist der Schwiesow. Und ich bin seine Frau, die Schwiesowsche, sozusagen die Seinige. So wie das Schwiesowsche Haus oder der Schwiesowsche Kahn die Seinigen sind. Trotzdem waren wir einander sehr zugetan.